Was wir zur Arbeitsmigration in die Schweiz wissen – und was nicht.
Worum geht es?
Warum zählt es?
- Wenn Zuwanderer als Arbeitskräfte in die Schweiz kommen, profitieren zunächst die Zuwanderer selbst. Das ist nicht überraschend, denn schliesslich sind sie aus freien Stücken gekommen und versprechen sich von Arbeit und Leben in der Schweiz Vorteile. Aber auch die Schweiz kann von den Zuwanderern profitieren, und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens, wenn die Zuwanderer produktiver sind als die heimischen Arbeitskräfte und dadurch den Wohlstand aller erhöhen. Und zweitens, wenn zugewanderte Talente uns helfen, selbst produktiver zu werden. Qualifizierte Zuwanderung belebt den Arbeitsmarkt und ist ein für beide Seiten lohnendes Geschäft. Es gibt zahlreiche Studien, die diese und verwandte Effekte auf die PFZ zurückführen. Sie schätzen die Zunahme des Wohlstands auf 0.09 bis 0.15% pro Kopf und Jahr. Das ist nicht erheblich, aber messbar.
- Das Leben besteht allerdings nicht nur aus Arbeit. Die Bevölkerung zieht Freude und Lebensqualität auch aus einem funktionierenden Staat, der Sicherheit, Infrastruktur, soziale Wohlfahrt und vieles mehr bietet. Das ist erheblich, denn wer in die Schweiz zuwandert, erhält nicht nur eine Arbeitsstelle, sondern im Gesamtpaket ist auch der Zutritt zu Staat und Gesellschaft enthalten – bei einigen Sozialleistungen mindestens nach einer Karenzfrist. Der Staat ist eine Solidargemeinschaft: Allen stehen die öffentlichen Leistungen zur Verfügung; alle bezahlen nach den gleichen Regeln des Steuersystems für die gemeinsamen Leistungen. Die individuelle Entscheidung der Zuwanderer bringt damit auch gesellschaftliche Kosten und gesellschaftlichen Nutzen mit sich.
Namentlich stellt sich die Frage, ob der Steuerbeitrag der Zuwanderer reicht, ohne dass es zu Übernutzung und Verschleiss der öffentlichen Leistungen kommt. Die Studienlage dazu ist leider dürftig. Diese Wissenslücke hat es in sich. Denn zwar zahlen Zuwanderer wie alle Steuern. Aber dies alleine garantiert noch nicht, dass damit Kostenwahrheit hergestellt ist. Denn dort, wo die Zuwanderung einen Ausbau der öffentlichen Leistungen erfordert, müssten die verlangten Steuern auch die Ausbaukosten decken. Und dort, wo ein Ausbau der öffentlichen Leistungen nicht möglich ist und wo somit Dichtestress entsteht, sollten die Steuern auch für diese Kosten entschädigen. Diesen Sachverhalt versteht jeder Club, der für Neumitglieder nicht nur die allgemeinen Mitgliedergebühren, sondern eine Aufnahmegebühr verlangt, damit sich die neuen Mitglieder an den bestehenden Clubleistungen beteiligen. - Beim Staat kommt hinzu, dass dieser von Einkommensstarken zu weniger Einkommensstarken umverteilt. In Anlehnung an das Bonmot von Bundesrat Hans-Peter Tschudi gilt: Die Reichen brauchen den Staat nicht, aber der Staat braucht die Reichen. Stärkere Schultern sind im Staat solidarisch zu den schwächeren Schultern und übernehmen einen grösseren Teil der Finanzierung – in der Schweiz bezahlen die 10% der Top-Einkommensbezüger weit über 50 Prozent der gesamten Einkommenssteuern (vgl. www.sid.swiss). Damit muss der Durchschnittsbürger mit seinen individuellen Steuerleistungen seinen individuellen Staatskonsum nicht vollständig berappen. Er kann darauf zählen, dass er von den Einkommensstärkeren bezuschusst wird.Für die Zuwanderung hat dieser Umstand weitreichende Implikationen. Es bedeutet konkret, dass das bestehende Steuersystem Anreize für eine selektive Zuwanderung setzt, die versucht, von der Umverteilung zu profitieren. Der Staat muss aber effektiv verhindern können, dass er im Extremfall zum Magnet für jene wird, die aus den Sozialleistungen Profit schlagen wollen. Ein Zuwanderungsregime über den Arbeitsmarkt im Rahmen der PFZ kann diesen Schutz nicht leisten. Und wenn man berücksichtigt, dass 40% der Zuwanderung familiäre Gründe als Hauptgrund für die Zuwanderung nennen, also nicht zwingend die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, so besteht das Risiko für einen Magneteffekt des Schweizer Sozialstaates. Hierzu braucht es dringend mehr Forschung.
- Menschen ziehen Lebensqualität auch aus einer lebendigen Zivilgesellschaft, wo der Bürger Verantwortung für sich selbst übernimmt und den Staat nicht als Beute betrachtet. Die Zuwanderung hat ein Breitenwachstum bei den Steuereinnahmen und damit die Möglichkeiten zur Ausweitung des Staatseinflusses geschaffen. Der Staat hat mit den zusätzlichen Einnahmen auch die familienexterne Kinderbetreuung ausgebaut und Steuerabzüge für den Zweitverdiener erhöht – die Gesellschaft hat also viel Geld für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in die Hand genommen.
Was sind die Folgen? Eine interessante Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sollte uns hier zu denken geben. Die untenstehende Grafik zeigt die Entwicklung der Vollzeitäquivalente seit dem Jahr 2000 für Frauen und Männer sowie für Schweizer und Ausländer. Während die Schweizer Frauen ihre Arbeitsmarktbeteiligung stark ausweiteten, wird dies durch einen Rückgang bei den Schweizer Männern weitgehend kompensiert. Die kombinierte Arbeitszeit von Frauen und Männern stieg nur leicht.
Das erklärte politische Ziel der Stärkung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und damit die finanzielle Unterstützung der betroffenen Haushalte ist aber, dass die gewonnene Zeit für eine insgesamt erhöhte Erwerbstätigkeit eingesetzt wird. Andernfalls subventioniert der Staat den Familien den Rückzug der Männer aus dem Erwerbsprozess. Auch diese Entwicklung gilt es genauer zu untersuchen. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Zuwanderung? Hat die Zuwanderung die Schweizer träge gemacht? Wir wissen es (noch) nicht.