«Wir sollten uns auf die neue Rolle der USA einstellen», sagt Ivan Adamovich.
Herr Adamovich, Sie haben vor kurzem gemeinsam mit Konrad Hummler den viel beachteten Denkanstoss «Vom Umgang mit Amerika» veröffentlicht, in dem Sie das aussenpolitische Verhalten der Vereinigten Staaten einer grundsätzlichen Analyse unterziehen. In Europa gilt als ausgemacht, dass der amerikanische Präsident irrational und erratisch handelt. Ist das ein realistisches Urteil – oder ein Spiegel europäischer Wunschbilder?
Sie sprechen von Strategie, wo viele nur Chaos sehen. Was genau weist denn auf ein planvolles Vorgehen hin?
Zur Person
Dr. Ivan Adamovich ist seit 2018 CEO der Private Client Bank AG in Zürich, welche sich auf den Aufbau und die Verwaltung von Vermögen spezialisiert hat. Seit 2004 war er in der Vermögensverwaltung in St. Gallen, Genf und Zürich tätig und Mitglied in der Geschäftsleitung diverser Banken. Bei Notenstein war er als stellvertretender CEO und Chefstratege verantwortlich für die Flaggschiff-Publikation «Notenstein La Roche Dialogue». Heute ist er Herausgeber des «Private Client Letter». Seit 2017 ist er zudem Dozent für Angewandte Ökonomie an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern.

Dennoch wirkt Trumps Politik radikal – will er tatsächlich im Alleingang die aussenpolitische Rolle der USA neu schreiben?
Die USA haben diese Rolle über lange Zeit aber auch gerne übernommen.
Was treibt diesen Rückzug – nüchternes Kalkül oder der Druck eines Landes, das sich seine Rolle in der Welt nicht mehr leisten kann?
Dann ist es für die Vereinigten Staaten ein Akt der Befreiung?
«Seit Jahrzehnten wird implizit oder explizit auf die Vereinigten Staaten zurückgegriffen, wenn geopolitisch Not am Mann ist.»
Trumps Versprechen lautet «Make America Great Again» – der Satz behauptet Grösse und gesteht zugleich ihren Verlust ein. Was sagt er über das heutige Amerika?
Laut dem Internationalen Währungsfonds baut auch die EU eigene, interne Handelshemmnisse auf, die Zöllen von bis zu 45 % auf Industrie und über 100 % auf Dienstleistungen entsprechen. Ziehen sich also beide Grossräume, die EU wie die USA, aus der Globalisierung zurück – nur mit unterschiedlicher Rhetorik?
Und wenn man den Blick weitet – jenseits von Handel und Zöllen?
Europa kommt in Ihrem Text nicht gut weg: intellektuell bequem, sicherheitspolitisch abhängig, institutionell überfordert. Ist das Projekt Europa in Ihren Augen zu sehr mit moralisierender Rhetorik beschäftigt – und zu wenig mit strategischer Selbstbehauptung?
«Wer mit offenen Augen und Ohren durch Europa reist, stellt fest, dass die Unzufriedenheit gross ist.»
Mit anderen Worten: Europa ist gar nicht Adressat, sondern eher Kulisse?
Was bedeutet das für einen Staat wie die Schweiz?
Im grösseren Zusammenhang stellt sich die Frage, wohin sich die internationale Ordnung bewegt. Sie zeichnen drei mögliche Zukunftsbilder: eine Aufteilung der Welt in Einflusszonen, einen erneuerten Multilateralismus und eine Phase wachsender Unordnung. Welche dieser Entwicklungen erscheint Ihnen am wahrscheinlichsten – und welche wäre die gefährlichste Illusion?
Sie kommen zum Schluss, dass kleine, offene Staaten künftig stärker auf eigene Handlungsfähigkeit angewiesen sein werden. Wie soll die Schweiz aus Ihrer Sicht konkret vorgehen?
«Die Schweiz hat seit Jahrhunderten viel Erfahrung mit dem Überleben zwischen Grossmächten.»