Soziale Mobilität neu vermessen: Wie dick ist Blut wirklich?

Um die sozialen Auf- und Abstiegsmöglichkeiten in einer Gesellschaft zu messen, wird in der Regel der Vergleich zwischen Eltern und Kindern herangezogen. Doch wie Jonas Bühler, Tamara Erhardt, Dr. Melanie Häner-Müller und Prof. Dr. Christoph A. Schaltegger vom Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern in einem neuen Artikel in der Fachzeitschrift Perspektiven der Wirtschaftspolitik zeigen, greift dieser Ansatz zu kurz: Entscheidend ist, auch Geschwister, Cousins und andere Verwandte derselben Generation in die Betrachtung einzubeziehen. Die Autorinnen und Autoren wählen einen solch differenzierten Zugang zur Messung sozialer Mobilität und vergleichen Studien aus 14 Ländern sowie unterschiedliche Messgrössen.

Familiäre Prägung reicht weiter als gedacht

Um die soziale Mobilität einer Gesellschaft zu vermessen, fokussieren sich ökonomische Studien meist auf den Vergleich zwischen Eltern und Kindern. Doch wie dick ist Blut wirklich, wenn es um sozialen Aufstieg geht? Eine umfassendere Messung des familiären Einflusses kann durch den Vergleich des sozialen Status von Geschwistern erfolgen. Denn diese teilen sich nicht nur die Eltern, sondern auch gemeinsame Netzwerke, Schulumfelder, Freundeskreise und Nachbarschaften. Diese geteilten Erfahrungen sind prägend, bleiben im klassischen Ansatz aber unberücksichtigt.

Durch den Vergleich des sozialen Status von Geschwistern ergeben sich aufschlussreiche Einblicke: Je ähnlicher sich Geschwister in ihrem sozialen Status sind, desto prägender ist der familiäre Hintergrund. Eine geringere Ähnlichkeit hingegen deutet auf grössere Chancengleichheit hin, da der individuelle Lebensweg stärker durch persönliche Leistung als durch Herkunft bestimmt wird.

Internationaler Vergleich: Die Schweiz als Musterschülerin

Um die Unterschiede im Ausmass der familiären Prägung deutlich zu machen, vergleichen die Autoren Studien zum sozialen Status von Geschwistern aus 14 Ländern. Wie in der Grafik ersichtlich, ist die Ähnlichkeit im Einkommen von Geschwister in Ländern wie China, Portugal oder den USA drei- bis viermal so stark wie in der Schweiz. In diesen Ländern hat die Herkunft einen deutlich stärkeren Einfluss auf das spätere Einkommen. Die Schweiz hingegen zeigt sich im internationalen Vergleich als eine besonders chancenreiche Gesellschaft, in der der familiäre Hintergrund einen geringeren Einfluss auf den sozialen Status hat.

Weitere Themen des Artikels sind: 

  • Internationale Evidenz zur vertikalen und horizontalen Bildungsmobilität 
  • Was sind die Treiber des familiären Effekts?  
  • Der Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und sozialer Mobilität gemessen über Geschwisterähnlichkeiten 
  • Mehrgenerationellen Betrachtung: Inwiefern prägt auch die erweiterte Familie den eigenen Lebensweg