«Die zunehmende Regulierung könnte Gemeinden überfordern», sagt Mathias Binswanger.

Von Dr. Thomas M. Studer
Lieber Herr Binswanger, manche Schweizer Gemeinden kommen mit einer Vollzeitstelle in der Verwaltung auf 1'000 Einwohner aus, in anderen sind es 80. Wie erklären Sie diese grosse Spannweite?

In den Verwaltungen der zehn grössten Städte werden pro 1'000 Einwohner zwischen 16 und 30 Vollzeitangestellte beschäftigt. In den Agglomerationsgemeinden sind es knapp 10, und auf dem Land noch weniger. Sehen Sie hierin einen Stadt-Land-Graben?

Zur Person

Prof. Dr. Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er war zusätzlich Gastprofessor an der Technischen Universität Freiberg in Deutschland, an der Qingdao Technological University in China und an der Banking University in Saigon (Vietnam). Mathias Binswanger ist Autor von zahlreichen Büchern und Artikeln in Fachzeitschriften und in der Presse. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen.

Städte stehen vor anderen Herausforderungen als ländliche Gemeinden. Auch beim Vergleich der grössten Städte zeigen sich Unterschiede: Basel und Zürich beschäftigen fast 30 Verwaltungsmitarbeiter pro 1'000 Einwohner, während Luzern mit nur 16 auskommt. Was steckt hinter diesem Unterschied?

In den letzten zehn Jahren sind die Gemeindeverwaltungen überall schneller gewachsen als die Bevölkerung – auf dem Land, in der Stadt und insbesondere in den Agglomerationsgemeinden. Ist dies ein Ausdruck zunehmender Verstädterung?

Gleichen sich die Einwohner in den Agglomerationen mit ihren Ansprüchen jenen in den Städten an? Oder gleichen sich die Pflichten und Aufgaben der Agglomerationsgemeinden jenen in den Städten an?

Oft wird argumentiert, die Städte könnten sich das umfassende öffentliche Angebot nicht nur leisten, sie müssten es sich leisten, da die gut ausgebaute Infrastruktur eine zentrale Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg der ansässigen Unternehmen sei. Wie beurteilen Sie diese Argumentationslinie?

«Wer ein hohes Einkommen hat, braucht kaum die vom Staat zur Verfügung gestellten Leistungen und verzichtet gerne auf diese.»
Mathias Binswanger
Wie beurteilen Sie das Argument, der Druck auf dem lokalen Arbeitsmarkt erfordere hohe Löhne für das Verwaltungspersonal?

Die Agglomerationsgemeinden erlebten in den letzten zwei Jahrzehnten ein besonders starkes Bevölkerungswachstum. Sehen Sie einen Zusammenhang zum Wachstum der Gemeindeverwaltungen?

Braucht es eine Entlastung der Gemeinden von Aufgaben und regulatorischen Vorschriften oder braucht es mehr Unterstützung?

«Wir müssen aufpassen, dass Gemeinden nicht durch immer komplexere Regulierungen und Gesetze überfordert werden.»
Mathias Binswanger
Sprechen wir über die gesamten Staatsausgaben in der Schweiz. Die Ausgabenquote liegt im Jahr 2023 bei rund 33 Prozent des BIP. In kaum einem anderen europäischen Land ist der Wert tiefer, und die Quote blieb in den letzten 20 Jahren stabil. Welches Fazit ziehen Sie aus diesen Zahlen?

Hinter den Auslagerungen in Anstalten und öffentliche Unternehmen steht häufig die Absicht, staatliche Aufgaben dem Wettbewerb zu öffnen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Welche konkreten Verwaltungsreformen würden Sie empfehlen, um Effizienz und Bürgernähe zu stärken?

«Gemeinden werden zu Kontrolleuren, die ihren Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr als Partner, sondern als Polizisten und Schulmeister begegnen.»
Mathias Binswanger
Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung? Kann sie helfen, die Verwaltungen schlank zu halten?

Das IWP kommt in Lohnvergleichen zum Schluss, dass insbesondere beim Bund im Durchschnitt eine Lohnprämie für gleichwertige Arbeit gegenüber der Privatwirtschaft besteht. Wie interpretieren Sie diese Lohnunterschiede? Ergibt sich daraus Reformbedarf?